Falter
    ("
Interessant, du, faktisch")


Juni 2005


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Falter,  24/2005 - 15. Juni 2005

„Interessant, du, faktisch“

INTEGRATION Sie mögen „Star Wars“, Bart Simpson und können besser Deutsch als ihre Eltern. Die Kinder des Integrationshauses erzählen aus ihrem Alltag zwischen Schule, Freunden und Flüchtlingswohnheim. JULIA ORTNER

Klar, Artur hat ein Handy. Blöde Frage, so was hat heute jeder Volksschüler. Creflo hat auch eins, nur Zarina kriegt ihres erst, wenn sie in die erste Klasse kommt. Damit die Mama sie immer erreichen kann. Ein Handy ist eine Selbstverständlichkeit, vieles andere ist für die Kinder des Integrationshauses aber nicht so selbstverständlich. Gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern leben sie in zwei Zimmern, Küchenzeile inklusive, auf engem Raum, ohne eigenes Kinderzimmer. Bis geklärt ist, ob ihre Familien in Österreich Asyl bekommen, ist das Übergangswohnheim ihr Zuhause.

Artur, 10, aus der Ukraine, interessiert sich quasi für alles, weiß alles, erzählt alles. Sein Kumpel Creflo, 8, aus Angola, kann nicht stillhalten, turnt waghalsig rum, sein Idol Spiderman trägt er als Anhänger um den Hals. Zarina, 6, schüchtern, ein braves kleines Mädchen wie aus dem Bilderbuch, schleppt überallhin ihre Puppe, Marke „Babyborn“, mit. Kinderalltag im Integrationshaus, das die Nachbarn manchmal „das Haus vom Kurtl“ nennen, weil Willi Resetarits alias Ostbahn-Kurti das Flüchtlingswohnheim vor zehn Jahren mitbegründet hat.

Derzeit leben 110 Flüchtlinge im Leopoldstädter Integrationshaus, davon 55 Kinder. Zusätzlich werden in einer Wohngemeinschaft für Minderjährige zwanzig Jugendliche betreut. Das privat initiierte Haus kümmert sich um Asylwerber, die besonders schutzbedürftig sind: Traumatisierte, Alleinerzieherinnen, unbegleitete Jugendliche. Die Betreuer begleiten die Flüchtlinge auf ihrem Weg zu einem neuen Leben, helfen mit psychologischer Betreuung, bei Ausbildung, Sprachkurs, Wohnungssuche. 2,7 Millionen Euro kostet das Vorzeigeprojekt im Jahr, der Fonds Soziales Wien ist mit 1,2 Millionen der größte Fördergeber. Um die intensive Betreuung aufrechtzuerhalten, muss das Haus alleine 2005 zusätzliche 575.000 Euro aufstellen (siehe unten).

Das ewige Warten auf den Asylbescheid, die Ungewissheit, traumatische Erfahrungen, das Rumsitzen ohne Job – das alles quält die Erwachsenen im Integrationshaus. Die Kinder haben dagegen ihren Alltag, mit Schule, Freunden, Abwechslung. Oft sprechen sie schon besser Deutsch als die Eltern. Die Betreuer wollen den Kindern so was wie Normalität vermitteln, über Fluchtgeschichten und Erinnerungen an daheim soll möglichst wenig gesprochen werden.
Artur, blond und ein Plauderer, hat sowieso genug anderes zu erzählen. Vor einem Jahr kam er mit den Eltern und seiner Schwester aus der Ukraine nach Wien und gleich ins Integrationshaus. Sein kleiner Bruder ist hier geboren, nächstes Jahr kommt der Zehnjährige ins Gymnasium:

„Ich spreche Russisch, Ukrainisch und Deutsch. Ich geh noch in die Volksschule, in die vierte Klasse. Ich hab Freunde in der Schule und im Haus, so ungefähr drei, vier beste Freunde. Einer aus Polen, Dominik, dann Yasim aus der Türkei, der Onon aus der Mongolei und noch ein Bub aus der Türkei. Hier im Haus besuchen wir uns gegenseitig, wir haben ein Spielzimmer, oder wir sind hier unten im Hobbyraum. Am Dienstag haben wir Sportstunde von fünf bis sechs, da spielen wir gerne Abschießen und so. Am Mittwoch haben wir Malen, am Donnerstag Spielzimmer. Für Kinder ab zehn Jahren gibt es im dritten Stock einen Computerraum. Am Sonntag tanzen wir HipHop. Ich geh ganz gerne in die Schule, weil nur zu Hause ist es fad. Nachmittags bin ich im Hort, nach der Hausübung spiel ich dort. Auch in der Puppenecke, da nehm ich eine Puppe, stell sie auf den Kopf, dreh an ihren Füßen und mach Breakdance mit ihr. Oder ich mach Wrestling mit den Puppen. Ich geh jede Woche ins Kino, nächste Woche schau ich mir Madagaskar, einen Zeichentrickfilm an. Ich mag Lego und Harry Potter und fahr gern Skateboard. Im Sommer gehen wir oft in der Nähe von der Donauinsel schwimmen. Dort sind auch nackte Menschen, ganz ohne Unterhosen, da darf man keine Fotos machen.“

„Die Kinder leben hier wie andere Kinder in Österreich auch“, meint eine Betreuerin. Nur dass sie nicht einsam vorm Fernseher hocken wie manches Wiener Einzelkind, sondern das ganze Haus zum Spielplatz umfunktionieren. So lernen sie diverse Sprachen, sogar die Kleinsten sind schon mehrsprachig. Und weil die Eltern nicht viel Geld für Spielzeug haben, sind die Kleinen auch beim Spielen erfinderisch.

Creflo ist nicht so fürs Reden, quatscht nicht gern mit Fremden. Der quirlige Achtjährige ist mehr ein Mann der Tat mit ständig neuen Bastelideen: Der Haustechniker hat „dem Kind mit der blühenden Fantasie“ (eine Betreuerin) beim Schmieden des Laserschwerts geholfen, Marke „Star Wars“. Heute wollte sich Creflo selbst eine Brille bauen. Der Bub aus Angola lebt gemeinsam mit seiner Mutter und der kleinen Schwester seit 1998 in Österreich, vor zwei Jahren ist die Familie ins Haus übersiedelt:

„Warum soll ich mit dir reden? Ich mag die Schule nicht so besonders, ich bin lieber zu Hause und schlaf. Ich hab im Haus ein paar Freunde, zum Beispiel den Artur, in der Schule hab ich bloß einen Freund, der kommt aus Wien. Ich tanz gerne und ich bin ein Sportler. Turnen kann ich von ganz alleine, das hat mir keiner beigebracht. Meine Hobbys sind Kämpfen, Karate, Boxen. Ich sammle gerne Stöcke und bastle mir Schwerter. Oder eine „Darth Vader“-Maske. Nach der Schule mach ich Karate, dann die Hausübung. Das sind meine „Star Wars“-Sammelbilder und mein Laserschwert, den neuen Film muss ich mir noch anschauen. McDonald’s mag ich, Fußball spielen, Schwimmen, und in den Park gehen gefällt mir auch.“

Auch wenn sie kein eigenes Kinderzimmer haben – die Kids im Haus haben sich ihre persönlichen Ecken geschaffen. Artur hat dort das Boris-Uran-Autogramm und Bart Simpson hängen. Creflo präsentiert seine Schreibtafel, die beim Rumkritzeln losdudelt, und das Skateboard. Und die kleine Zarina zeigt stolz ihre Puppenecke her, wo sie alles Zubehör rund um ihre geliebte Puppe hortet: Kindersitz, Spielzeugthermometer und Kleiderkoffer inklusive. In ihrem Puppenreich geht die stille Sechsjährige ein bisschen aus sich heraus. Vor einem Jahr ist sie mit Oma und Mutter von Kirgisistan nach Österreich gekommen, seitdem lebt sie im Wohnheim:

„Ich geh hier im Haus in den Kindergarten. Meine Freundin ist die Milana, die geht aber schon in die Schule. Woher sie kommt, weiß ich gar nicht. Am liebsten mal ich und spiel mit den anderen Mädchen. Oder mit meiner Babyborn, das ist meine Puppe, die hab ich immer bei mir. Ich habe alles von Babyborn, alle Kleider, sogar die Trinkflasche. Mit der Mama und der Oma geh ich in den Prater, dort fahren wir mit den Autos im Kreis und mit dem großen Riesenrad. Im Fernsehen schau ich mir immer die Sendung mit der Barbie an.“

An Wien haben sich die Kinder mittlerweile schon gewöhnt, das fällt ihnen meist leichter als den Erwachsenen. Nur ab und zu erkennt Artur doch so was wie Unterschiede zwischen sich und den anderen:
„In Österreich ist es anders, bei uns in der Ukraine ist es anders. Wir haben zusammen Spaß, aber manchmal verstehen die anderen Kinder meine Witze einfach nicht. Wenn ich dann ihre Witze höre, find ich die oft auch ziemlich blöd. Aber ich bin jetzt eben in Wien zu Hause.“

Be a mensch! – die Gala zum 10. Geburtstag des Integrationshauses, 16. Juni, ab 20 Uhr in der BA-CA-Halle im Gasometer, 11., Guglg. 8. Karten sind bei der BA-CA und bei Österreich-Ticket erhältlich.

WILLI RESETARITS IM INTERVIEW
„Die Helfer werden nie umworben“


Lassen Sie uns einmal nicht über Musik reden. Willi Resetarits, Musiker, Entertainer und seit vergangenem Jahr pensionierter Ostbahn-Kurti, sitzt in der Gemeinschaftsküche und spricht über das Integrationshaus. Vor zehn Jahren hat er das Übergangswohnheim für Flüchtlinge mitbegründet, seitdem sammelt er mit Benefizveranstaltungen, Auftritten und Fernsehwerbung Geld für das Haus (siehe Geschichte oben). „Ich bin der Schnorrer und das Aushängeschild“, sagt Resetarits. Mit jährlichen Veranstaltungen wie dem Flüchtlingsball kann die Privatinitiative überleben. Für die 10-Jahres-Gala hat sich der Musiker was Besonderes einfallen lassen: Resetarits singt mit seinem Kabarettistenbruder Lukas und seinem Journalistenbruder Peter kroatische Lieder.

Falter: Herr Resetarits, zehn Jahre Benefize aller Art und Geldaufstellen fürs Integrationshaus – sind Sie des ewigen Schnorrens nicht müde?

Willi Resetarits: Natürlich ist es manchmal mühsam, das Publikum zu überzeugen, jedes Jahr zu kommen. Wenn dann aber gegen Jahresende die Nachricht kommt, das Budget kann nicht erfüllt werden, brennt der Hut. Jede Müdigkeit ist wie weggeblasen, da gilt es, schnell Kohle aufzustellen. Wir sind ein Verein, der Vorstand haftet mit dem Privatvermögen, wir hängen uns also auch das Damoklesschwert „fahrlässige Krida“ über die Häupter, wenn uns die inhaltliche Motivation nicht genügt.

Das Integrationshaus wurde von Ihnen auch als Denkfabrik gegen Ausländerfeindlichkeit gegründet – was hat das gebracht?

Als die Gemeinde uns damals dieses Haus für das Projekt zur Verfügung gestellt hat, haben wir sofort eine Informationsveranstaltung gemacht. Es sind viele Anrainer gekommen, eine große Gruppe unter Führung des FPÖ-Bezirksmenschen hat sogenannte Krakeeler organisiert. Die Entrüstung erschien auch groß, weil die Freiheitlichen so geschrien haben – „Kurtl, früher ham ma di wolln, jetzt brauch ma di nimma!“ Aber danach war Ruhe, die Menschen haben begonnen, Sachspenden vorbeizubringen. In den ersten Jahren gab es eine Beschwerde aus dem Nachbarhaus, dass nach neun Uhr abends Mistkübeln ausgeleert werden, da haben wir einen mehrsprachigen Zettel aufgehängt, bitte nur bis 21 Uhr Mistkübel ausleeren. Und später hat sich einer beschwert, dass im Bad immer das Licht brennt, das kostet ja so viel Strom, da haben wir auch einen Zettel aufgehängt. Heute sind wir im ganzen Grätzel akzeptiert.

Warum ist das beim Integrationshaus so glatt gelaufen, während andere Flüchtlingsheime wie ein neues in Floridsdorf mit dauerhaftem Widerstand zu kämpfen haben?

Ich habe dem damaligen Vizebürgermeister Mayr versprochen, dass ich mich für das Haus aus dem Fenster häng, wenn er uns unterstützt. Damals war der Ostbahn-Kurti bei der Bevölkerung sehr populär, das hat sicher geholfen. Und bei den Anrainern hat der Anblick von Familien mit kleinen Kindern was gebracht, in den Debatten davor haben sie sich unrasierte, dunkelhaarige Männer mit serbischem Schnurrbartl vorgestellt, bei denen das spitzige Messer aus dem Hosensack schaut.

Im Jahr 2000 nach Antritt der schwarz-blauen Regierung haben Sie einmal erzählt, dass manche Leute den Bewohnern des Integrationshauses das Leben mit Beschimpfungen und Attacken wieder schwerer machen würden.

Das war ein Stimmungsbild, das nicht statistisch belegt war. Unsere Betreuer haben damals erzählt, die Leute trauen sich wieder mehr gegenüber Zuwanderern. Das entspricht meiner Theorie, dass, sobald die Politik eine grausame Sprache gegenüber einer Gruppe benutzt, der extremere Teil der Bevölkerung darin die Legitimation sieht, jemand in die Goschn zu hauen.

Jetzt setzt die FPÖ im Wiener Wahlkampf wieder voll auf das Thema Ausländer. Befürchten Sie, dass mehr Fremdenfeindlichkeit hochkommt?

Ich hoffe, das Gegenteil passiert. Und dass diese Loser-Partie beim Runterschwimmen die Ressentiments mitnimmt. Der Auftritt von Bürgermeister Häupl im letzten Wahlkampf war gut für das Klima in der Stadt, erstmals hat jemand bei einer Wahl nicht versucht, nach den Stimmen der Ewiggestrigen und Xenophoben zu fischen, und hat Erfolg gehabt. Eine positive Sprache der Entscheidungsträger kann etwas für Zuwanderer verbessern, auch wenn wir mit den Taten der Gemeinde nicht immer zufrieden sind. Außerdem wird viel zu wenig über die Leute geredet, die nicht xenophob sind und mit Freude auf andere Kulturen blicken. Auf die fünf Prozent Idioten werden ganze Wahlkampagnen abgestimmt, die zehn Prozent aktive Helfer werden nie umworben. Wenn alle Parteien einmal um die Stimmen der Flüchtlingshelfer buhlen würden!

Im Integrationshaus sind Traumatisierte oder unbegleitete Minderjährige untergebracht. Was halten Sie von den neuen Fremdengesetzen, die selbst Folteropfer nicht vor Schubhaft bewahren?

Für Traumatisierte wird es noch härter, das ist eine Katastrophe. Caritas, Diakonie, Volkshilfe und wir haben gemeinsam eine Stellungnahme dazu ausgearbeitet. Keine Ahnung, was das Innenministerium damit macht – lesen, die Rückseite für Notizen verwenden? Aber ich gebe die Hoffnung auf faire Asylbedingungen nicht auf, eine meiner philosophischen Erkenntnisse ist ja auch: Wünschen hilft.


© 2005  Falter

Last Updated: 21. Juni 2005

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