Der Spiegel
        ("I brauch kan Glitza")


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Der Spiegel, 22/1992, Seite 220 ff

I brauch kan Glitza

Eine kuriose Kunstfigur regiert Österreichs Rock-Szene. Nun setzt Ostbahn-Kurti zum Sprung über die Alpen an.

Am Morgen danach vernichteten die Putzfrauen die letzten Beweise. Im verwüsteten Saal des Rockschuppens "Szene Wien" kehrten sie leere Bierdosen und Zigarettenkippen zusammen und stellten die Stühle wieder auf. Bald wies nichts mehr auf das legendäre Konzert-Ereignis hin.

Aber auch die Fans, die am Abend zuvor gekommen waren, um ihr geheimnisvolles Idol endlich leibhaftig auf einer Bühne zu erleben, hatten kaum etwas zu berichten. Unerbittliche Ordner hatten sie wieder nach Hause geschickt; das Konzert sei längst ausverkauft. Eine glaubhafte Auskunft, denn hinter den festverschlossenen Türen dröhnte nicht nur laute Rockmusik, sondern auch der Jubel offenbar enthusiasmierter Anhänger. Doch der Live-Lärm kam vom Tonband, ein kühl inszeniertes Täuschungsmanöver wie die sorgsam ausgelegten Kippen und Bierdosen.

In Wirklichkeit war das durch geschickte Flüsterpropaganda lancierte Schein-Konzert am 1. April 1983 nur ein weiterer Baustein zur Blend-Biographie einer kuriosen Kunstfigur: Ostbahn-Kurti. Bis dato existierte der unsichtbare Sänger mit dem merkwürdigen Namen nur als Donau-Phantom, eingewoben in ein Gespinst aus gezielt ausgestreuten Gerüchten.

So kursierten in der Wiener Rock-Szene Lobeshymnen auf Kurtis angeblich kongeniale Dialekt-Texte zu amerikanischen Rock-Klassikern - obwohl es keine einzige Platte zu kaufen gab. Unterderhand wurden Adressen von Kurtis Lieblingslokalitäten weitergereicht - doch niemand traf ihn dort an. Die Greta Garbo des Austro-Rocks war einfach nicht zu fassen. Ostbahn-Kurti existierte nur als Wille und Vorstellung seines Erfinders: Günter Brödl, 37, Journalist und erfolgreichster Fama-Fabrikant des Landes.

Der Spaß hat inzwischen längst ein Ende, Ostbahn-Kurti ist ins Leben getreten und hat Karriere gemacht. Die Finten-Figur bekam. einen leibhaftigen Darsteller verpaßt: Willi Resetarits, 43, Gründungsmitglied der legendären Agitprop-Gruppe "Schmetterlinge". Kurti-Konzerte finden mittlerweile vor echtem Publikum statt und sind durchweg ausverkauft, die Platten landen in den Hitparaden. Die Oberösterreichischen Nachrichten bilanzieren den Erfolg mit der knappen Formel "Massen stürmen die Kassen", und das Blatt Tirol Tirol kürte Willis Kurti-Inkarnation zu "Wiens berühmtestem Dreitage-Bart" .

Jetzt will Willi alias Kurti zum Sprung über die Alpen ansetzen. Erste Konzert-Versuche auf deutschem Boden fielen im sprachverwandten Bayern zufriedenstellend aus. Nun soll im Juni in Hamburg und Berlin linguistische Feindberührung erfolgen.

Die wagemutige Plattenfirma hat vorsorglich ein Glossar präpariert, das die wichtigsten Wiener Dialekt- Vokabeln eindeutscht: Die "Fettn", so lernen Kurti-Fans, ist nicht etwa eine kalorienverwöhnte Gespielin, sondern ein Rausch. Und ein "Gschropp" bezeichnet kein Werkzeug zur Gebäudereinigung, sondern ein Kleinkind. Aber das Sprachliche, so meinen Brödl und Resetarits in echter Kurti-Diktion, dürfte auch für den fremdzüngigen Konzert-Besucher "ois ka Drama" sein. Doch ob dem Hauptstädter aus dem Brandenburgischen Becken oder dem um korrekte Aussprache bemühten Hanseaten in der Norddeutschen Tiefebene die Feinheiten Ostbahnscher Proletarier-Lyrik wirklich aufgehen werden, scheint fraglich. Schon die nur Wien-Kennern gelingende Dechiffrierung des befremdlichen Namens wirft jenseits der Grenze Probleme auf.

Die Wiener Ostbahn ist tatsächlich eine, wenn auch kurze, Bahnstrecke. Sie führt durchs rote Arbeiterland im Südosten der Stadt. Die Route trennt die Viertel Simmering und Favoriten voneinander. Es ist das traditionelle Terrain des Wiener Proletariats, das Kurtis Themen bestimmt und ihm weiteren Stoff für seine Eulenspiegeleien liefert.

Denn eigentlich, so lautet eine seiner Standardgeschichten, sei er der Schöpfer des "Favorit´n Blues". Die quicken Amis hätten ihn aber "leider schon geklaut, bevor ich ihn komponiert habe". Überdies hätten die US-Rocker auch noch den Begriff unstatthafterweise als Rhythm´n´Blues verhunzt.

Und so gibt Kurti, seinen Fans immer um mindestens ein Glas voraus, singend zu, daß er "ka Idee" hat, "wos i da sogn soll, ka Idee, wia i das erklär". Seine inzwischen in die Hunderttausende gehende österreichische Gemeinde zwischen Kärnten und dem Waldviertel versteht ihn auch so. Für sie ist Ostbahn-Kurti "der letzte Aufrechte" im Lande, wie das Szene-Blatt Falter feststellt. Als moralische Instanz wird er gebraucht, wenn es gilt, zu Friedensdemos aufzurufen oder einem wegen Wehrdienstverweigerung einsitzenden Fan eine Solidaritätsdepesche zu schicken. Kurtwilli gilt als integrer Kunst-Proletarier - und somit als glaubwürdig.

Schließlich ist Resetarits selbst in Favoriten aufgewachsen. Sein Vater, ein Aushilfsarbeiter beim Bau, war jahrelang aus dem Burgenland nach Wien zum Anschaffen gependelt, am Montag in aller Früh hin, spätabends am Freitag zurück. In Abendkursen qualifizierte er sich zum Polier. Als er den Aufstieg geschafft hatte, resümiert der Sohn ein hartes Arbeiterleben knapp, "ist er gestorben".

Von Lebensläufen wie diesem handeln Kurtis Lieder, die Günter Brödl schreibt. Sie erzählen ärmliche Geschichten von verlorener Liebe, von kaputten Illusionen, vom Suff, von zerstörten Träumen vom Glück, vom Lügen und Lachen, vom "Liagn & Lochn" eben, wie eine der fünf Platten heißt.

Jeder Song ist ein Dialekt-Dramolett, jede Platte ein in sich gerundetes Geschichtenwerk. Die Songs beschreiben die alltägliche Misere, sie bieten Seelenmassage und ein Schlupfloch für kleine Fluchten - wenn auch nur als Tagtraum für ein Leben in immerwährender Liebe: ,,I brauch kan Glitza, ka Hollywood. Wannst des a brauchst, wos i brauch, dann hamas guad."

Mit gleicher Unerschütterlichkeit sieht Resetarits dem Erfolg oder Mißerfolg seines Gastspiels bei den Norddeutschen entgegen: "Wanns is, is. Wanns net is, is net. Wies holt is."


© 1992  Der Spiegel

Last Updated:   04. April 1999

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